Was ein Geschenk ist, haben wir als Kinder gelernt: Man bekommt etwas Wunderschönes, und man braucht nichts dafür zurückzugeben. Gut, so naiv sind wir heute nicht mehr. Und wer damals diesen Satz gehört hat: „Wenn du nicht brav bist, gibt’s nichts vom Nikolaus!“ – hätte schon damals ahnen können: Da besteht ein Zusammenhang zwischen Nikolausgeschenk und meinem Wohlverhalten. Oder: Hinter Geschenken steckt meist die Erwartung des/der Schenkenden: Der/die Beschenkte muss satisfaktionsfähig sein. Doch nicht nur Kinder sind so naiv, auch Wissenschaftler. Erst vor rund 100 Jahren haben sie begonnen, sich systematisch über Geschenke zu wundern – und zu streiten. Der Pole Bronislaw Malinowski hatte den Ersten Weltkriegs unfreiwillig auf den Trobriand-Inseln in der Südsee verbracht.
Als er von dort schließlich aufsehenerregendes Material über einen Gabentausch-Ring der Insulaner mit zurückbrachte, war der Startschuss gefallen. Plötzlich wurden die Verhältnisse, die Malinowski beschrieb, zum Spiegel für unsere eigene Lebensweise. Und während Ethnologen immer mehr ähnliche Bräuche in anderen Teilen der Welt entdeckten – und die Historiker einstimmten: „Ja – bei uns auch!“ – begannen vor allem marxistische Denker diese Geschenke als Grundkritik am Kapitalismus zu beschreiben. Schenken galt plötzlich als würdevoller ursprünglicher Akt des Güter-Austauschs im Gegensatz zum entfremdeten Transfer durch Geld. Doch belegten diese „Geschenk-Ökonomien“ nicht auch, dass Geschenke sogar schlimme Folgen haben konnten für den Beschenkten?
Und schließlich: Gibt es wirklich kein „reines Geschenk“? Etwas, was wir einfach nur bekommen und ohne Verpflichtung genießen dürfen? Thomas Morawetz ist Redakteur beim Rundfunk vor allem für Geschichtsthemen. Auf die geheimnisvolle Anatomie von Geschenken ist er zum ersten Mal während seines Studiums gestoßen: Das seltsame Verhalten der Helden Homers erklärte sich plötzlich durch deren offensichtliche Verwandtschaft mit Südsee-Insulanern.